Am Wochenende war Workshop in Bremen. Bremen bestand zu dieser Zeit aus einem einzig großen Weihnachtsmarkt. Also glühweintrinkende Menschentrauben vor Pantoffelständen und natürlich Buden, die Lebkuchen mit Aufschriften wie Yolo oder Rettungsroutine anboten. Nahe der Weser verkauften Freibeuter Met, was wohl das hanseatische Äquivalent zum klassischen Mittelaltermarkt darstellt. Am Goetheplatz in der Villa Ichon aber das wirklich Interessante – der Workshop mit dem angenehm vermessenen Titel „Die Literatur in Zeiten von Facebook“.
So war der Plan: Zwei Stunden über Schreiben reden und dann schreiben (lassen). Glücklicherweise wurde dieser Plan schnell hinfällig. Denn schnell wurden Fragen gestellt. Und Fragen sind eigentlich immer gut, weil man dann nachdenken muss und sich auseinandersetzt, was wiederum Reaktionen hervorruft und neue Sichten auf schon oft Gesagtes ermöglicht. Denn es fühlt sich seltsam an, nur an einem Ende der Tafel zu sitzen und von da aus über so etwas Unsagbares wie „Das gute Schreiben“ zu dozieren. Dann viel lieber ein Schlagabtausch, gern auch kritisch, gern auch motivierend.
Zwei Tees später das Schreiben. Das ist sowieso eines der besten Geräusche: wenn Menschen Worte auf Papier bringen. Oder eben das tiktiktik der Netbooktasten. Und immer wieder die Stille, wenn sich der Kopf hebt und der Blick in die Ferne schweift und sich dort in alternativen Welten verliert, von denen eine zu Leben erweckt werden wird.
Am Ende sehr unterschiedliche Stile, sehr unterschiedliche Genres, was gut so war. Jeweils eine Nebenfigur wurde mit mehr Leben ausgestattet. Ich hatte mir als Vorgabe nur einen Namen genommen (Schädelbach), die ersten beiden Sätze („Schädelbach ist kein Pedant. Aber Schädelbach gibt auf Dinge acht.“) und eine grobe Situation (mit einem Pony). Daraus dann in einer Stunde einen Text zu formen war die Aufgabe.
Herdis schrieb über Henrys Sohn bzw. schrieb in Samuels Namen, was schließlich auch unter der entsprechenden Episode so steht.
Jahre später fand Henry beim Stöbern in den verstaubten Kartons, die er nach dem Ende von Samuels Wochenendbesuchen nicht mehr geöffnet hatte, ein eng beschriebenes Blatt Papier. Er hatte nie gewusst, dass sein Sohn zu etwas fähig war:
Verbrauchte Ruhe
Ein Moment der Schöpfung,
(du sagtest: zweiter Sonnenaufgang
– für mich nicht zu sehen
trotz unserer Augenhöhen,
die fast dieselben waren –
nur ein wenig
Luft dazwischen)
einige Sternbilder danach,
kann nicht ohne
Zerstörung da sein
wie die Vitrine
und die Bierflasche
und Schritte, die
nie gemacht werden
zu Menschen in Träumen,
die ich nie gesehen hatte –
wie kann das sein
ohne verwischte Farben?
Gemalt werden Schreie
nicht von selbst
und Fragen sind
auch grundlos da
und
unausdrücklich
bleibt das Übersetzen von
Üblichkeiten in Antworten
– dann wieder
Scham und Stille
in der man ertrinken
könnte
wenn verbrauchte Ruhe
nicht zu dunklem
Staub würde
– das Wir im
Zwischenjetzt: nur
ein Punkt, der sich
streichen lässt
von Listen
wie Gedanken,
die knacken,
wenn man ihnen
zu nahe kommt
– ein Wind,
der weht,
weil irgendwo
eine Tür
zu viel
offen steht
– dabei: ein kleiner
Geruch, der Äpfel
bei sich hat
und ich weiß,
warum mir langweilig ist
wenn du vom
Gegenteil sprichst
denn ich
verstehe nur
das Gegenteil des Gegenteils vom Gegenteil
und das Rüberstellen
von Fragen:
Gibt es zwei Menschen,
die weiter voneinander
weg sein können
und zwei Herzschläge,
synkopischer als
unsere?
Außerdem hat Herdis noch ihre Eindrücke vom Workshop festgehalten.