Datum: 22. August 2014
Anreise: Im Zug vorbei an im Abernteprozess befindlichen Feldern. Spreu stäubt, Spelzenstaubwolken hängen über grüngelben Mähdreschern.
Lesungsort: Filmraum, Hamburg Eimsbüttel. Ist sowohl Caférestaurant wie Veranstaltungsort und Filmausleihe. In der Auslage nicht die erfolgreichsten, sondern die besten Filme der letzten Jahre.
Sitzgelegenheiten: ausrangierte Kinoklappreihen mit rotem Polster
Qualität des gebeamten Bildes: HDMI
Musik: Vor der Lesung kein Reggae. Während der Lesung allein das Knistern verbrennender Fotos.
besonderer Moment: Gleich zu Beginn, noch während der Ankündigung durch den Verleger. Ein Weinglas, bis knapp unter den Rand mit Wasser gefüllt, auf der Lautsprecherbox abgestellt. Beim Greifen danach schwappt Wasser. Sekundenbruchteile vergehen, die über den Erfolg dieser Lesung entscheiden. Denn verschüttet sich gleich anfangs Wasser – womöglich über die Steckdosenleiste am Boden – wäre das erste Bild, das sich das Publikum vom Lesenden macht, das eines Tollpatschs. Stattdessen schießt das Wasser zwar über den Rand hinaus in die Luft, verharrt aber in der Bewegung und fängt sich dann im Glas. Ein eher eleganter Moment also.
Erkenntnis während des Lesens: Die Texte aus dem Buch vorzutragen ist deutlich unanstrengender als sich mit krummen Rücken nach vorn beugend vom Display abzulesen, die Hand dabei immer scrollend an der Maus.
Publikumsfrage: Wieso ist das vorherrschende Gefühl, mit dem der Erzähler auf sein Leben zurückblickt, Melancholie?
Dauer: Lesung eine Stunde, Fragerunde fünfundvierzig Minuten
Nach der Lesung: öffnen die Veranstalter eigens die schon geschlossene Küche. Flammenkuchen mit Feta und Penne mit Aubergine werden gereicht. Dazu ein Gespräch über die Sonnenbrillen von Schiller und Goethe, die diese auf den wirklich ganz und gar schrecklichen Werbeplakaten für den Weimarer Sommer tragen.
Die Schönheit der deutschen Sprache: Sitzplatzreservierungsanzeigedefekt
Datum: 23. August 2014
Anreise: Zuvor der bei Hamburgvisiten übliche Gang durch HafenCity. Vorbei am Partyschiff »MS Stubnitz«. Hier spiegeln blitzblankenese Fensterscheiben nicht das marineblaue Elbewasser wider, sondern sind von steinewerfenden Hipstern zerschossen und zerbrochen worden. Diese Zerstörung ist gewollt, um einen unalternativen Lebensraum auch außerhalb von Arbeitszeiten mit Leben zu füllen. Besuch der HafenCity University. Die nützliche Information, dass Helene Fischer in HafenCity wohnt.
Lesungsort: Gängeviertel, Hamburg. Anlass ist dessen fünfter Geburtstag, der zugleich Abschiedsfeier ist, da das Gängeviertel – eine Art alternative Stadt direkt neben dem Springerhaus und der Polizei – saniert werden soll und dafür an diesem Abend umziehen wird. Die Lesung selbst findet in einer alten Fabrikhalle statt.
Sitzgelegenheiten: mit Tags besprayte Holzstühle
Qualität des gebeamten Bildes: VGA
Musik: Jan Drees (siehe auch: Erkenntnis während des Lesens)
besonderer Moment: Karim Bellarabi schießt kurz nach Lesungsbeginn das schnellste Tor der Bundesligageschichte.
Erkenntnis während des Lesens: Als Jan Drees sein erstes Stück spielt. Hatte er vor drei Jahren noch mit einem Koffer Klänge entlockt, dominieren diesmal zahlreiche Samples u.a. von Heiner Müller, Barack Obama und Angela Merkel. Während bei den bisherigen Lesungen die Stellen zwischen den gelesenen Worten mit vielen Erklärungen gefüllt werden, ist da diesmal die Musik. Und die Musik fängt die zahlreichen Zeitsprünge weich auf. Mit jedem der Stücke wächst diese Erkenntnis und damit auch der Wunsch, es die nächsten Male ähnlich zu handhaben.
Publikumsfrage: Ist hier der Faltenrock? (die Ü60-Singleparty im Gängeviertel)
Dauer: fünfundachtzig Minuten
Nach der Lesung: Fortführung der Fünf-Jahres-Feier. Gespräche über die Seltsamkeit, wenn Soziologen des eigene Schaffen im Gängeviertel wissenschaftlich analysieren. Trashmetalband mit Föntolle. Viele bunte Lichter. Anstatt Listenpreisen Spendentöpfe. Nachts in einem Psychologenpraxiswartezimmer sitzen und an einer unter Denkmalschutz stehenden Holzdecke mittelalterliche religiöse Lobpreisungen entziffern, während unten auf Straße auf einer offenen Bühne eine Band die Punkversion von »Time of my Life« aus »Dirty Dancing« spielt.
Die Schönheit der deutschen Sprache: Wenn wir uns jetzt in diese vollbesetzte U-Bahn werfen, dann spitzen die Menschen heraus.
.
.
.
Was noch geschah:
(6) Leipzig. Das Geräusch von Kreide auf falschem Schiefer
(5) Nordhausen. Das Handy der Kanzlerin.
(3) Hamburg. In Substantiven, Verben, Wieworten und Personalpronomen.
(2) Bremen, Oldenburg. Pop-Ups blocken in Bremen.
(1) Fotothek Weimar. Transmediale Frischkäseschnittchen.